Irgendein kluger Kopf hat mal gesagt,
man könne nicht mehr zurück.
Ein bisschen stimmt das ja auch.
Auf der anderen Seite kommen wir doch alle irgendwann in eine
Situation, die uns zumindest das Gefühl gibt, wieder im „Früher“
zu sein.
Vor einigen Tagen wurden unser
Thronfolger und seine Erzeuger daran erinnert, dass mindestens einer
von uns dreien sehr bald einen neuen Lebensabschnitt beginnen wird:
Die künftige Lehranstalt hatte Sohnemann nebst Eltern zu einem
ersten Gespräch eingeladen. Für Prinz Tunichtgut war das Ereignis
nicht halb so schrecklich wie für seinen Vater! Der nämlich (also
ich!) fühlte sich mit Betreten eines dieser typischen Flure um
einige Dutzend Jahre zurückversetzt.
Kaum erblickten meine alten
Augen die offenbar gesetzlich vorgeschriebene Schulflurfarbe
„Popelgelb“, die Haken voller kleiner, feuchter Anoraks und die
unvermeidlichen verlorenen Handschuhe, kaum hörten meine grauen
Ohren das konzentrierte Murmeln hinter verschlossenen Türen, den
gelegentlichen Ruf einer Lehrerin nach Ruhe und Aufmerksamkeit, kaum
roch meine taube Nase den sauer-herben Geruch lernender, schwitzender
Kinder, krochen seltsame Gedanken in mein dumpfes Hirn:
„Ich hab meine Hausaufgaben nicht
gemacht!“
„Hoffentlich schreiben wir heute
keinen Test!“
„Ich
habe meinen Turnbeutel vergessen!“
Mein
lieb Frauchen sah mir meine Sorgen wohl an, denn sie schenkte mir ein
zauberhaftes, nichtsdestotrotz spöttisches Lächeln, als wir durch
die stillen Gänge schritten. Vor dem Sekreteriat mussten wir erst
mal warten. Das ist wohl so eine Art Naturgesetz: Niemand geht
einfach so durch diese Tür! Niemand! Außer den Lehrern und den
Schülern der höheren Stufen, die nur noch schnell was für die
Schülerzeitung kopieren müssen.
So
warteten wir vor den Toren der Höl... vor dem Sekretariat und
vertrieben uns die Zeit damit, logische Gründe dafür zu finden,
warum wir uns auf gar keinen Fall auf die Stühle setzen wollten, die
genauso aussahen, wie man es von solchen Stühlen in allen Schulen
dieser Welt erwarten kann (und muss...): Hart und unbequem.
Während
ich mich fragte, warum ich schon wieder zum Rektor musste, erkundete
unser künftiger Musterschüler begeistert, fasziniert und gänzlich
unbefangen die zahlreichen Zeichen gelebter Demokratie an dieser
Schule:
„Das
Rauchen ist auf dem gesamten Schulgelände verboten!“
„Die
Schülervertretung informiert: Die nächste Sitzung des Komitees für
Leibesertüchtigung findet am 12. April '98 im Schulcafé statt!“
„Eure
beliebte Schülerband „Die Labskäuse“ spielen zum Sommerfest '99
in der Aula!“
„Eure
Schülerzeitung „Schwamm drüber“ sucht noch Mitstreiter! Meldet
euch bei Elke (7a)!“
„Verlorene
Turnbeutel können in der großen Pause beim Hausmeister abgeholt
werden!“
„Turnbeutel
verloren! Er ist blau mit roten Streifen. Nicht schütteln! Da ist
ein Joghurtbecher drin.“
Nur
die Wandtafel mit den Stundenplänen ließ unseren potentiellen
Oberprimaner seltsamerweise völlig unberührt...
Endlich,
nach gefühlten Stunden ereignislosen Wartens, öffnete sich die Tür
zum Sekretariat und eine Stimme erscholl von jenseits des Tresens,
voller Autorität und bar jeden Zweifels: „Die nächsten! Bitte.“
Hinter
dem Tresen fand sich eine Dame (Und ich wähle diesen Titel bewusst!)
älteren Baujahrs, die uns freundlich begrüßte, einige formale
Dinge mit uns besprach und sich ganz offensichtlich über den Besuch
unseres Sohnes freute. Ihre beredte Körpersprache vermittelte
allerdings folgendes:
„Ihr
habt Unsinn gemacht. Leugnen hilft nicht, ich weiß es genau! Deshalb
müsst ihr nun zum Rektor, und da kann ich euch nicht helfen. Aber
keine Angst! Er wird euch schon nicht fressen. Strafe muss sein, und
wer weiß? Vielleicht habe ich hinterher noch ein Trostpflästerchen
für euch. Falls der Rektor noch etwas von euch übrig lässt...“
Dann
öffnete sich die Tür zum Büro des Rektors, und es gab kein Zurück
mehr! Während lieb Frauchen und Sohn lächelnd, sorglos und beinahe
beschwingt in das Büro schwebten, schlurfte ich mit hängenden
Schultern und schlechtem Gewissen hinterher...
Welche
Hausaufgaben hatte ich denn jetzt schon wieder nicht gemacht? Sooo
schlecht waren meine Noten doch nun auch nicht. Und schwänzen tun
nur die anderen!
Ich
hatte ganz vergessen, was für ein grandioses Gefühl plötzliche
Erleichterung ist! Es ging ja gar nicht um mich! Was für ein Wunder.
Immerhin hatte ich die Schule schon vor unzähligen Jahren verlassen,
und diese spezielle Schule hatte ich noch nie besucht.
Der Rektor
unterhielt sich ausgesprochen freundlich mit uns über seinen
künftigen Schüler, stellte uns ebenso wort- wie bildreich seine
Schule vor und bedankte sich, dass wir uns für seine Lehranstalt
entschieden hatten. Trotz allem kamen wir aber nicht ohne ein Wort
der Ermahnung aus dem Büro: Lehren würden sie unserem Sohn alles,
was er braucht, aber die Erziehung müssten wir schon selbst
übernehmen!
Das ist wohl noch so ein schulisches Naturgesetz:
Der Rektor mahnt immer!
Nur
noch ein paar kurze Monate, dann wird der Vorschüler zum
Grundschüler. Schon der Gedanke daran macht uns Eltern stolz. Und
noch mehr freuen wir uns über den Abschluss dieses besonderen Tages:
Als wir alles hinter uns hatten, als alle Spiele gespielt und
alle Geschichten gelesen waren, nach Abendessen, Waschen und
Zähneputzen, als Prinz Studiosus müde in seinem Bett lag, da fragte
er uns: „Können wir morgen wieder in die Schule gehen?“
Bald,
mein Sohn, bald...
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